Gespräch zwischen Mary Dostal und Bernadette La Hengst
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René Martens über den Film „Sankt Paulis starke Frauen – Reeperbahner*innen“:

 

„Es hat so etwas Unsterbliches – eine besondere Aura –, wenn ich an die uralte Nonnenschwester Irmela vom Kloster auf St. Pauli denke, an ihre wächserne Blässe nach diesem unendlich langen heissen Sommer,“ sagte Rasmus Gerlach anlässlich der Premiere auf dem Hamburger Filmfest.Das einst von Mutter Teresa gegründete Kloster ist auch Sankt Paulianern meist unbekannt, so zurückgezogen gehen die Nonnen der Sozialarbeit nach. Sie  helfen Gestrandeten der Strasse – wie auch in ihren späten Jahren die berühmteste Hure des Landes: Domenica. Sie ist – allerdings nur im Wachsfiguren-Kabinett – in Rasmus Gerlachs neuem Film vertreten.

 

In diesem Schattenreich fehlt noch die erste Frauenband auf dem Kiez, die Liverbirds: „Mutter Teresa bin ich“, sagt im Film die Sängerin Pamela, die lange als Barfrau gearbeitet hat.1965 erschien von der Frauen-Band auf dem Label des Star Clubs auf St. Pauli der Song „Why do you hang around me“. Das Potenzial des Stücks erkannte man damals offensichtlich noch nicht, denn es kam nur als B-Seite einer Single heraus. Mehr als ein halbes Jahrhundert später dient „Why do you hang around me“ nun als eine Art Signatur-Song in Rasmus Gerlachs Dokumentarfilm „Sankt Paulis starke Frauen - Reeperbahner*innen“. „If you think you have enough of me / And there’s someone else you like to see / Why do you hang around me“, sangen die damals um die 20-jährigen. Derart schroffe Zeilen war man von Frauen zu dieser Zeit eher nicht gewohnt, wenn es um Männer und die Liebe ging, gang und gäbe waren vielmehr tränenreiche Songs. „Why do you hang around me“ - im Film ist eine Ukulelen-Version des Songs zu hören, gespielt von der Liverbirds-Kennerin Stefanie Hempel, die als Fremdenführerin auf dem Kiez  arbeitet - steht also für Selbstbewusstsein, für Stärke, und insofern passt das Lied zu einem Film, der „Sankt Paulis starke Frauen“ heißt.

 

Mit den Liverbirds beginnt gewissermaßen die Geschichte der starken Frauen, die Rasmus Gerlach erzählt. Auf dem Kiez nahm die Entwicklung der Gruppe aus Liverpool eine entscheidende Wendung: 1964 nahmen die Musikerinnen das Angebot an, als Hausband im Star Club auf St. Pauli aufzutreten. Rasmus greift hier gewissermaßen nach einem Zipfel der Musikhistorie, denn die Liverbirds gelten als die erste echte weibliche Band der Rockgeschichte – wobei ihr Auftreten sehr maskulin war. Eine der Protagonistinnen seines Films ist die heute noch in Hamburg lebende Ex-Liverbirds-Bassistin Mary Dostal. Für „Sankt Paulis starke Frauen“ begibt sich die Musikerin Bernadette Hengst, deren frühere Band Die Braut Haut Ins Auge stark beeinflusst war von den Liverbirds, mit Dostal an verschiedene Orte, die mit der Geschichte der Pionierband verbunden sind.

 

„Sankt Paulis starke Frauen - Reeperbahner*innen“ heißt auch eine Sonderausstellung im St.-Pauli-Museum. Der Film ist in Zusammenarbeit mit dem Museum entstanden, das einige der Gesprächspartnerinnen ausgewählt hat. Mitarbeiterinnen des Museums haben sich zudem an den Interviews beteiligt. Das Projekt ist eine Reaktion darauf, dass starke Frauen in den Darstellungen des Stadtteils nicht gerade überrepräsentiert sind.

 

Die bekannteste Frau, die hier zu Wort kommt, ist Franca Cuneo. Das von ihr geführte italienische Restaurant in der Davidstraße gibt es seit 113 Jahren, und auch Hamburger*innen, die schon seit Jahren oder Jahrzehnten nicht mehr auf dem Kiez waren, haben sie schon einmal in der Zeitung oder im regionalen Fernsehen gesehen. Weniger bekannt ist, dass Franca Cuneo, die, wie sie selbst sagt, „mit Elbwasser getauft“ wurde, sich für Geflüchtete engagiert. Cuneo sagt in Rasmus Gerlachs Film, dass sich alles, was man zum Thema Geflüchtete auf St. Pauli sagen lässt, mithilfe eines Aufklebers zusammen fassen lasse, der auf einem Briefkasten bei ihr um die Ecke zu finden ist.„Was sagen Sie eigentlich zu den ganzen Flüchtlingen hier?“ steht dort drauf. Jemand schrieb dazu: „Ich sage ‚Moin‘ und lächle freundlich, man will ja nicht aufdringlich sein.“

 

Gastronomin Franca Cuneo

 

Anders als Cuneo, dürften die meisten Frauen, die Rasmus Gerlach hier porträtiert, dürften vor allem den Bewohnern und regelmäßigen Besuchern des Stadtteils bekannt sein: die Burlesque-Performerin, die Barbetreiberin, die Frau aus der Süßigkeiten-Manufaktur, die unter anderem Totenköpfe aus Marzipan kreiert (was, natürlich, etwas mit dem FC St. Pauli zu tun hat).

 

Die Interviews mit den Frauen dienen auch dazu, jene Themen anzureißen, die die Diskussionen im und um den Stadtteil St. Pauli seit vielen Jahren prägen: Ist es im Gespräch mit der Gastronomin Franca Cuneo die Migration, geht es in anderen Interviews um die Verdrängung jener, die wenig Geld haben, und um die Gefahr, dass die Mischung im Stadtteil sich so verändert, dass er noch mehr von seinem Charakter verliert als bisher. Auch der Protest gegen die Gentrifizierung im weiteren Sinne findet Platz im Film, zu sehen ist ein Ausschnitt aus dem „Requiem“ für die symbolträchtigen und auch über den Grenzen Hamburgs hinaus bekannt gewordenen Esso-Häuser, die 2014 abgerissen wurden. Inszeniert hat dieses Requiem der ausschließlich aus Frauen bestehende Megafonchor, eine Performance-Gruppe, die das Megafon, also ein klassisches Tool des Protests, für neuartige Protestformen nutzt. In Rasmus’ Vorgängerfilm „Der Gipfel - Performing G20“ gehören die Frauen aus dem Chor zu den tragenden Figuren – auch im neuen Film sind sie wieder das prägende Plakat-Motiv.

 

Rasmus unternimmt immer wieder Ausflüge in die Geschichte des Stadtteils - vor allem in den Passagen mit Mary Dostal und Bernadette La Hengst. Die beiden stehen beispielsweise vor der Kneipe Gretel & Alfons in der Großen Freiheit, hier gingen, wie Dostal erzählt, sowohl die Beatles als auch die Liverbirds am liebsten einen trinken. Die Kamera fängt ein Werbeplakat an der Außenfassade ein, auf dem unter anderem diverse alkoholfreie Cocktails aufgeführt sind. Alkoholfreie Cocktails? Bei Gretel & Alfons? Ja, auch eine traditionsreiche Kneipe in einer der berühmtesten Straßen St. Paulis muss halt mit der Zeit gehen.

 

Gewidmet ist „Sankt Paulis starke Frauen“ dem Gedenken an die Poetry-Slam-Pionierin Christine Garelly, die im Januar 1998 im Alter von 31 Jahren starb, als ein Raser eine Haltestelle an der Stresemannstraße ummähte, wo sie gerade auf den Bus wartete. Ohne Garelly hätte sich die Slam-Szene im Stadtteil nicht in der bekannten Weise entwickelt. Rasmus greift hier zurück auf seinen experimentellen Dokumentarfilm “Hamburg ist Slamburg - Christine Garelly - Long time no see”, der 2008 bei der Dokumentarfilmwoche Hamburg zu sehen war.

 

Einen weiteren historischen Aspekt, der indes viel, viel weiter zurück reicht als alle anderen in seinem Film, reißt Rasmus dann am Ende des Films auf eine eher spielerische Weise an - was das angeht, sei an dieser Stelle aber nicht mehr verraten, denn das wäre dann doch ungerecht gegenüber allen, die sich den Film anschauen möchten.

 

 

 

René Martens über den Film „Sankt Paulis starke Frauen – Reeperbahner*innen“:

 

„Es hat so etwas Unsterbliches – eine besondere Aura –, wenn ich an die uralte Nonnenschwester Irmela vom Kloster auf St. Pauli denke, an ihre wächserne Blässe nach diesem unendlich langen heissen Sommer,“ sagte Rasmus Gerlach anlässlich der Premiere auf dem Hamburger Filmfest.Das einst von Mutter Teresa gegründete Kloster ist auch Sankt Paulianern meist unbekannt, so zurückgezogen gehen die Nonnen der Sozialarbeit nach. Sie  helfen Gestrandeten der Strasse – wie auch in ihren späten Jahren die berühmteste Hure des Landes: Domenica. Sie ist – allerdings nur im Wachsfiguren-Kabinett – in Rasmus Gerlachs neuem Film vertreten.

 

In diesem Schattenreich fehlt noch die erste Frauenband auf dem Kiez, die Liverbirds: „Mutter Teresa bin ich“, sagt im Film die Sängerin Pamela, die lange als Barfrau gearbeitet hat.1965 erschien von der Frauen-Band auf dem Label des Star Clubs auf St. Pauli der Song „Why do you hang around me“. Das Potenzial des Stücks erkannte man damals offensichtlich noch nicht, denn es kam nur als B-Seite einer Single heraus. Mehr als ein halbes Jahrhundert später dient „Why do you hang around me“ nun als eine Art Signatur-Song in Rasmus Gerlachs Dokumentarfilm „Sankt Paulis starke Frauen - Reeperbahner*innen“. „If you think you have enough of me / And there’s someone else you like to see / Why do you hang around me“, sangen die damals um die 20-jährigen. Derart schroffe Zeilen war man von Frauen zu dieser Zeit eher nicht gewohnt, wenn es um Männer und die Liebe ging, gang und gäbe waren vielmehr tränenreiche Songs. „Why do you hang around me“ - im Film ist eine Ukulelen-Version des Songs zu hören, gespielt von der Liverbirds-Kennerin Stefanie Hempel, die als Fremdenführerin auf dem Kiez  arbeitet - steht also für Selbstbewusstsein, für Stärke, und insofern passt das Lied zu einem Film, der „Sankt Paulis starke Frauen“ heißt.

 

Mit den Liverbirds beginnt gewissermaßen die Geschichte der starken Frauen, die Rasmus Gerlach erzählt. Auf dem Kiez nahm die Entwicklung der Gruppe aus Liverpool eine entscheidende Wendung: 1964 nahmen die Musikerinnen das Angebot an, als Hausband im Star Club auf St. Pauli aufzutreten. Rasmus greift hier gewissermaßen nach einem Zipfel der Musikhistorie, denn die Liverbirds gelten als die erste echte weibliche Band der Rockgeschichte – wobei ihr Auftreten sehr maskulin war. Eine der Protagonistinnen seines Films ist die heute noch in Hamburg lebende Ex-Liverbirds-Bassistin Mary Dostal. Für „Sankt Paulis starke Frauen“ begibt sich die Musikerin Bernadette Hengst, deren frühere Band Die Braut Haut Ins Auge stark beeinflusst war von den Liverbirds, mit Dostal an verschiedene Orte, die mit der Geschichte der Pionierband verbunden sind.

 

„Sankt Paulis starke Frauen - Reeperbahner*innen“ heißt auch eine Sonderausstellung im St.-Pauli-Museum. Der Film ist in Zusammenarbeit mit dem Museum entstanden, das einige der Gesprächspartnerinnen ausgewählt hat. Mitarbeiterinnen des Museums haben sich zudem an den Interviews beteiligt. Das Projekt ist eine Reaktion darauf, dass starke Frauen in den Darstellungen des Stadtteils nicht gerade überrepräsentiert sind.

 

Die bekannteste Frau, die hier zu Wort kommt, ist Franca Cuneo. Das von ihr geführte italienische Restaurant in der Davidstraße gibt es seit 113 Jahren, und auch Hamburger*innen, die schon seit Jahren oder Jahrzehnten nicht mehr auf dem Kiez waren, haben sie schon einmal in der Zeitung oder im regionalen Fernsehen gesehen. Weniger bekannt ist, dass Franca Cuneo, die, wie sie selbst sagt, „mit Elbwasser getauft“ wurde, sich für Geflüchtete engagiert. Cuneo sagt in Rasmus Gerlachs Film, dass sich alles, was man zum Thema Geflüchtete auf St. Pauli sagen lässt, mithilfe eines Aufklebers zusammen fassen lasse, der auf einem Briefkasten bei ihr um die Ecke zu finden ist.„Was sagen Sie eigentlich zu den ganzen Flüchtlingen hier?“ steht dort drauf. Jemand schrieb dazu: „Ich sage ‚Moin‘ und lächle freundlich, man will ja nicht aufdringlich sein.“

 

Gastronomin Franca Cuneo

 

Anders als Cuneo, dürften die meisten Frauen, die Rasmus Gerlach hier porträtiert, dürften vor allem den Bewohnern und regelmäßigen Besuchern des Stadtteils bekannt sein: die Burlesque-Performerin, die Barbetreiberin, die Frau aus der Süßigkeiten-Manufaktur, die unter anderem Totenköpfe aus Marzipan kreiert (was, natürlich, etwas mit dem FC St. Pauli zu tun hat).

 

Die Interviews mit den Frauen dienen auch dazu, jene Themen anzureißen, die die Diskussionen im und um den Stadtteil St. Pauli seit vielen Jahren prägen: Ist es im Gespräch mit der Gastronomin Franca Cuneo die Migration, geht es in anderen Interviews um die Verdrängung jener, die wenig Geld haben, und um die Gefahr, dass die Mischung im Stadtteil sich so verändert, dass er noch mehr von seinem Charakter verliert als bisher. Auch der Protest gegen die Gentrifizierung im weiteren Sinne findet Platz im Film, zu sehen ist ein Ausschnitt aus dem „Requiem“ für die symbolträchtigen und auch über den Grenzen Hamburgs hinaus bekannt gewordenen Esso-Häuser, die 2014 abgerissen wurden. Inszeniert hat dieses Requiem der ausschließlich aus Frauen bestehende Megafonchor, eine Performance-Gruppe, die das Megafon, also ein klassisches Tool des Protests, für neuartige Protestformen nutzt. In Rasmus’ Vorgängerfilm „Der Gipfel - Performing G20“ gehören die Frauen aus dem Chor zu den tragenden Figuren – auch im neuen Film sind sie wieder das prägende Plakat-Motiv.

 

Rasmus unternimmt immer wieder Ausflüge in die Geschichte des Stadtteils - vor allem in den Passagen mit Mary Dostal und Bernadette La Hengst. Die beiden stehen beispielsweise vor der Kneipe Gretel & Alfons in der Großen Freiheit, hier gingen, wie Dostal erzählt, sowohl die Beatles als auch die Liverbirds am liebsten einen trinken. Die Kamera fängt ein Werbeplakat an der Außenfassade ein, auf dem unter anderem diverse alkoholfreie Cocktails aufgeführt sind. Alkoholfreie Cocktails? Bei Gretel & Alfons? Ja, auch eine traditionsreiche Kneipe in einer der berühmtesten Straßen St. Paulis muss halt mit der Zeit gehen.

 

Gewidmet ist „Sankt Paulis starke Frauen“ dem Gedenken an die Poetry-Slam-Pionierin Christine Garelly, die im Januar 1998 im Alter von 31 Jahren starb, als ein Raser eine Haltestelle an der Stresemannstraße ummähte, wo sie gerade auf den Bus wartete. Ohne Garelly hätte sich die Slam-Szene im Stadtteil nicht in der bekannten Weise entwickelt. Rasmus greift hier zurück auf seinen experimentellen Dokumentarfilm “Hamburg ist Slamburg - Christine Garelly - Long time no see”, der 2008 bei der Dokumentarfilmwoche Hamburg zu sehen war.

 

Einen weiteren historischen Aspekt, der indes viel, viel weiter zurück reicht als alle anderen in seinem Film, reißt Rasmus dann am Ende des Films auf eine eher spielerische Weise an - was das angeht, sei an dieser Stelle aber nicht mehr verraten, denn das wäre dann doch ungerecht gegenüber allen, die sich den Film anschauen möchten.

 

 

 

Gastronomin Franca Cuneo

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